Die Verwaltung hat zur nächsten Bürgerschaftssitzung am 07.06.2023 ihre Stellungnahme zur Anfrage der SPD bzgl. der geplanten Straßenbahnerweiterung in Reutershagen vorgelegt.

Die Fraktion der SPD hatte mit Blick auf die geplante Straßenbahnerweiterung Reutershagen und das Gutachten, auf dem die Planungen basieren, ein umfassende Anfrage an die Verwaltung gestellt, welche nun wie folgt beantwortet wurde:

1. Im Gutachten wird mit einer Einwohnerzahl von 240.300 Rostockern (Seite 19) gerechnet.

a) Durch wen wurde die Zahl vorgegeben?

Die Einwohnerzahl von 240.300 stammt aus dem Mobilitätsplan Zukunft (MOPZ), beinhaltet jedoch die Summe aus Haupt- und Nebenwohnsitzen (Vgl. Erläuterungen im MOPZ). Im auf dem MOPZ basierenden Verkehrsmodell sind 221.300 Einwohner*innen mit Hauptwohnsitz in Rostock hinterlegt. Nur diese Zahl wurde für die Nachfrageberechnungen herangezogen.

b) Welcher Nutzen-Kosten-Index würde sich für die beiden Routen ergeben, wenn mit der aktuellen Bevölkerungsprognose gerechnet werden würde?

Im Zuge der in den weiteren Planungen anstehenden und durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) zu begleitenden standardisierten Bewertung (Nutzen-Kosten-Untersuchung) wird selbstverständlich mit den dann aktuell vorhandenen Prognosen und Modellen gerechnet. Da hier aber neben den Einwohnerzahlen auch sämtliche anderen Strukturdaten einfließen, lässt sich nicht vorhersagen, ob und wenn ja, in welche Richtung sich der Nutzen-Kosten-Index verändert.

2. Im Gutachten werden 34 ha Flächenentwicklungspotenziale zwischen Reutershagen und Gartenstadt als „städtische Bestrebungen“ ausgewiesen (Seite 23)

a) Woher stammen die Zahlen und auch die detaillierte Aufteilung nach Gewerbe- und Wohngebieten? b) Welche Planungen liegen diesen Zahlen zu Grunde?

Die Hanse- und Universitätsstadt Rostock hat durch einen Bürgerschaftsbeschluss im Jahr 2017 den Auftrag zur Aufstellung des neuen Flächennutzungsplans und damit zur fachlichen Auseinandersetzung mit den Entwicklungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten u.a. neuer Bauflächen erhalten.

2018 erfolgte eine erste Öffentlichkeitsbeteiligung, innerhalb dessen erste Flächen­entwicklungsszenarien mit der allgemeinen und Fachöffentlichkeit diskutiert wurden (siehe u.a. https://zukunftsplan-rostock.de/beteiligung/szenarien). Hier wurde für den Bereich nördlich des Groß Schwaßer Weges ein Gesamtflächenpotenzial von ca. 30 ha dargestellt.


In der weiteren internen fachlichen Auseinandersetzung mit den verschiedenen Potenzialflächen, welche mit einem Zielszenario der Bürgerschaft zum Beschluss vorgelegt werden sollen, erfolgte eine etwas detailliertere Flächenbetrachtung aus stadtplanerischer und umweltfachlicher Sicht.

3. Für die Stadt: Es werden die Planungsziele Anbindung des P+R-Parkplatzes Groß Schwaßer Weg und Anbindung des CJD als wesentliche Planungsziele genannt.

  1. Wer hat diese Planungsziele festgelegt?

Basis bildet die Beschlussvorlage 2020/BV/1833. Dazu wurden bei der Erstellung der Gutachten die in den Ausbaukorridoren liegenden Verkehrserzeuger (Akteure, durch deren Tätigkeit Verkehr entsteht, wie z.B. Betriebe, Unternehmen, Schulen, Freizeiteinrichtungen, Verwaltungen, Wohnungsunternehmen, Kliniken oder Einkaufszentren) identifiziert und deren Bedeutung bewertet. Ziel ist es, die größten Verkehrserzeuger im Korridor mit der Straßenbahn zu bedienen, um die bestehenden Nachfragepotenziale bestmöglich zu heben und damit eine größtmögliche Verkehrsverlagerung zu den Verkehrsmitteln des Umweltverbundes zu bewirken.

  1. Wieso waren diese Planungsziele nicht Bestandteil der Beschlussvorlage 2020/BV/1833?

Die Zielstellungen wurden auf Basis der Beschlussvorlage für den Untersuchungskorridor (Zoo – Reutershagen) aufgestellt, um mögliche Trassenkorridore zu identifizieren. Eine potenzielle Straßenbahnstrecke soll die Verkehrsnachfrage bestmöglich abdecken und höchstmögliche Verlagerungseffekte zum Umweltverbund ermöglichen. Dies gelingt nur, wenn die wesentlichen Aufkommensschwerpunkte bedient werden und sich die Strecke sinnvoll im gesamten ÖPNV-Netz einordnen lässt.

  1. Wieso wurden diese Planungsziele der Bürgerschaft nicht zum Beschluss vorgelegt?

Von der Bürgerschaft wurde mit dem Beschluss 2020/BV/1833 der Auftrag für die weiteren Untersuchungen bereits erteilt.

4. Die Ost-Route wurde im Gutachten durch einen Nutzen-Kosten-Index von unter 1,0 als nicht förderfähig eingeschätzt.

a) Aus welchen Gründen wurde im Gutachten ein Parallelverkehr der Linie 20 zwischen Markt Reutershagen und Schwimmhalle einberechnet?

Der Parallelverkehr zwischen Bus und Straßenbahn im Korridor Ost entlang der U.-v.-Hutten-Straße, Händelstraße und Tschaikowskistraße ist erforderlich, um den südlichen Bereich von Reutershagen (Reutershagen II) weiterhin mit dem Innenstadtbereich zu verbinden und auch die direkte Stadtteilverbindung zwischen Reutershagen und dem Hansaviertel zu ermöglichen. Auf diesen Relationen wären gegenüber der heutigen Direktverbindung bis zu 2 Umstiege (vom Bus in die Straßenbahn und wieder in den Bus) erforderlich.

b) Wurden alternative Linienführungen anstelle des parallelen Verkehr Bus-Straßenbahn geprüft? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum nicht?

Die unter a) benannten Alternativen wurden geprüft, aufgrund der negativen Auswirkungen auf die Nutzbarkeit des ÖPNV und einer damit einhergehenden Schwächung der Nachfrage im ÖPNV jedoch verworfen. Eine alternative Führung der Busse zwischen Reutershagen und dem Hansaviertel ist aufgrund der bestehenden Straßeninfrastruktur nicht möglich.

Ein Parallelverkehr zwischen Bus und Straßenbahn wäre in diesem Bereich also erforderlich.

5. Bei der West-Route wurde die Linie 39 gestrichen und die Linie 20 (heute 25) ausgedünnt.

a) Warum wurde der Takt verschlechtert?

Bei Umsetzung einer Straßenbahnneubaustrecke kommt es in beiden Korridoren zu einer Anpassung der Buslinien. Auch im Planungsansatz für den Ost-Korridor entfällt Linie 39 auf dem Abschnitt Markt Reutershagen bis Hauptbahnhof und die heutige Linie 25 wird auf einen 20-Minuten-Takt reduziert. Für die Planungen im Korridor West übernehmen die Straßenbahnstrecken entlang der Hamburger Straße sowie entlang der Goerdelerstraße einen Teil der Erschließungsaufgaben der heutigen Buslinie 25. Fahrgäste aus Reutershagen I und II werden zum großen Teil mit der Straßenbahn fahren. Nur Stadtteilverbindung von Reutershagen ins Hansaviertel sowie die Erschließung unmittelbar um die Haltestellen U.-v.-Hutten-Straße, Kuphalstraße und Tschaikowskistraße bleibt Aufgabe des Busses. Hier wird die Gesamtnachfrage der Buslinie deutlich niedriger sein als es heute der Fall ist, wo der Bus für den größten Teil von Reutershagen die alleinige ÖPNV-Erschließung gewährleistet. Die Einzugsbereiche um die geplanten neuen Haltestellen der Straßenbahn sind in der Anlage ersichtlich. Die nicht von der Straßenbahn abgedeckten Bereiche werden auch zukünftig vom Bus bedient.

b) Welche alternativen ÖPNV-Angebote sollen die Fahrgäste zwischen den Haltestellen Ulrich-von-Hutten-Straße und Schwimmhalle anstelle des heutigen Taktes nutzen?

Für einen Teil der heutigen Busnutzer*innen an den Haltestellen U.-v.-Hutten-Straße, Kuphalstraße und Tschaikowskistraße ist die neue Straßenbahnstrecke oder die bestehende Strecke entlang der Hamburger Straße sehr gut erreichbar. Für alle anderen fährt die Buslinie weiterhin zwischen dem Doberaner Platz (zukünftig Stadthafen) und Evershagen, nach derzeitigem Planungsstand jedoch etwas seltener, im 20-Minuten-Takt. Ab der Haltestelle Schwimmhalle besteht dann durch Überlagerung mit weiteren Linien wieder ein deutlich dichteres Angebot. Die Umlegungsergebnisse des Verkehrsmodells bestätigen die Sinnhaftigkeit dieses Ansatzes unter den heute bekannten Annahmen zum Verkehrsverhalten der Menschen.

c) Wieso stellt die Verringerung des Taktes für die Einwohner im Gebiet zwischen den beiden genannten Haltestellen keine Verschlechterung zum heutigen Angebot dar?

Sofern die Planungen zum Busnetz so umgesetzt werden, reduziert sich für einen Teil der Einwohner*innen im benannten Gebiet die Häufigkeit der Anbindung gegenüber heute. Durch die neue Straßenbahnstrecke ergeben sich in der Gesamtbetrachtung für einen weitaus größeren Teil der Bevölkerung aber deutliche Vorteile durch dichtere Taktung, neue Direktverbindungen zu wichtigen innerstädtischen Zielen und kürzere Fahrzeiten. Diese Auswirkungen werden ebenfalls durch das Verkehrsmodell bestätigt. Das vorgeschlagene angepasste Busliniennetz kann im weiteren Planungsprozess entsprechend der Bedürfnisse und Notwendigkeiten austariert werden.

Gleichzeitig sind bezüglich des Angebots aufgrund der sehr langen Vorschauzeit (Umsetzung nicht vor 2030) Entwicklungen, die zu einer Korrektur und Anpassung der Planungen zur konkreten Ausgestaltung der Buslinienführungen und -takte führen möglich und sogar wahrscheinlich.

6. Das Gutachten rechnet in allen Szenarien mit veränderten Fahrgastzahlen auf den verschiedenen Strecken. Die Ermittlung wird aber im Gutachten nicht untersetzt.

a) Wie wurde das zusätzliche Fahrgästepotenzial aus dem Gutachten für die beiden Routen konkret ermittelt?

Hierzu wird das VISUM-Verkehrsmodell der Firma PTV verwendet. Dies ist ein weltweit im Einsatz befindliches und anerkanntes Werkzeug. Die Ergebnisse sind Grundlage und Hilfe für jegliche Art von Entscheidungen zum Neu- und Ausbau von Verkehrsinfrastruktur. Bei der RSAG und der HRO ist dieses Modell schon seit vielen Jahren im Einsatz.

b) Gab es eine Erhebung bzw. Befragung am CJD bezüglich des zusätzlichen Potenzials an Schülern, die die Straßenbahn zukünftig nutzen würden, aber heute nicht mit dem Bus zur Schule kommen? Wenn ja, wie war das Ergebnis? Wenn nein, warum nicht?

Aufgrund des langen Zeitraums für die Planung und den Bau einer neuen Straßenbahnstrecke (Inbetriebnahme nicht vor 2030) wird kein*e heutige*r Schüler*in innerhalb der Schullaufbahn die Chance haben, die Straßenbahn zum Erreichen der Schule zu nutzen. Eine Befragung oder Erhebung wäre somit rein hypothetischer Natur und deshalb für eine Meinungsbildung nicht sinnvoll. Bekannt ist, aus welchen Orten und Stadtteilen die Schülerinnen und Schüler kommen. Daraus lässt sich ableiten, für wie viele Schülerinnen und Schüler sich die Erreichbarkeit der Schule mit öffentlichen Verkehrsmitteln mit dem Bau der Straßenbahn verbessern würde. Daraus lassen sich Aussagen zur Änderung des Verkehrsmittelwahlverhaltens treffen. Allerdings spiegeln diese Werte auch nur den heutigen Stand wieder und sind keine Garantie, dass die Wohnortverteilung in 8 Jahren unverändert ist.

7. Es wird verschiedentlich berichtet, dass es für die Ermittlung des Kosten-Nutzen-Verhältnis von neuen ÖPNV-Routen ein Berechnungsverfahren des Bundes gibt.

a) Wie würde für beide Routen der Nutzen-Kosten-Index aussehen, wenn mit der neuen Berechnungsmethode gerechnet wird?

Die standardisierte Bewertung ist ein Verfahren zur Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen des öffentlichen Personennahverkehrs. Durch die Standardisierung des Vorgehens wird eine objektive Beurteilung von örtlich, technisch und verkehrswirtschaftlich unterschiedlichen Vorhaben nach einheitlichen Maßstäben ermöglicht. Mit der standardisierten Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen kann der Nutzen einer Maßnahme strukturiert und nach einheitlichen Maßstäben erhoben und bewertet werden. So kann gegenüber Dritten die Vorteilhaftigkeit einer Maßnahme mithilfe einer anerkannten Methodik dargestellt werden. Zum 01.07.2022 ist das neue standardisierte Bewertungsverfahren Version 2016+ in Kraft getreten. Basis für die Anpassungen sind die im Dritten Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanzierungsgesetzes (GVFG) dargestellten neuen Fördertatbestände und neuen Mindestvorhabengrößen. Im Zuge der in den weiteren Planungen anstehenden und durch das BMDV zu begleitenden standardisierten Bewertung (Nutzen-Kosten-Untersuchung) wird selbstverständlich das dann zu verwendende Verfahren (aktuell Version 2016+) genutzt. Nach erster Einschätzung wird insbesondere der Korridor West hier ein besseres Ergebnis erzielen, da Faktoren wie CO2-Einsparung oder P+R-Nutzung im aktuellen Verfahren eine stärkere Wichtung erhalten haben.

b) Warum wurde im Gutachten nicht mit der neuen Berechnungsmethode gerechnet?

Die Nutzen-Kosten-Untersuchungen wurden bereits im Jahr 2021 beauftragt. Zu diesem Zeitpunkt stand die neue Berechnungsmethode noch nicht zur Verfügung.